Géronde 

 

 Im Wallis gibt es viele Taubstumme, aber bis zum Ende des XIX. Jahrhunderts sind die meisten sich selber überlassen.

 

Nach einem Besuch im Institut von Greyerz, gegründet 1890, ist Monsignore Blatter, Domherr der Kathedrale von Sitten und Gründer des Waisenheims für Gehörlose, begeistert. Er spricht mit Léon Roten, Chef des Departements für Volksschulbildung und dem Staatsrat Maurice de la Pierre. Zusammen erarbeiten sie ein Projekt. Für dessen Umsetzung wird eine Umfrage in allen Walliser Gemeinden über die Anzahl ihrer Taubstummen gemacht. Es sind insgesamt 283 im ganzen Kanton. Im Dezember werden Vereinbarungen mit dem Ordinariat der Diözese, Besitzer des früheren Klosters Géronde in Sitten gemacht, mit dem Ziel, dort ein Institut für Taubstumme einzurichten. Dem Kanton Wallis wird eine mietfreie, unbefristete Nutzung des ehemaligen Klosters gewährt, unter der Bedingung, die notwendigen Reparaturarbeiten zu übernehmen. Doktor Beck setzt sich im Grossen Rat für das Institut und die Taubstummen ein und das Projekt wird genehmigt. Drei Schwestern werden vom Institut Greyerz geschickt, um in Géronde zu arbeiten. Die Eröffnung des Instituts wird auf den 1. Oktober 1894 festgelegt.

Bei Schulbeginn werden neunzehn Kinder den Ingenbohler Schwestern anvertraut. Die Walliserin Schwester Bernalde, die sich vorher um das Institut Greyerz gekümmert hat, wird die Direktorin. Der Institutsgeistliche ist ihr Bruder, Pfarrer César Jaggi.

Die Anfänge im Institut sind schwierig und die damaligen Zeitschriften rufen ihre Leser zu Spenden für das Institut auf, entweder in Form von Bargeld oder Naturalien. Die Pension kostet einen Franken pro Tag. Elektrizität und fliessendes Wasser werden 1898 installiert.

 

 

1904 werden zwei Werkstätten eröffnet, ein Schuhmacher wohnt fest dort und ein Schreiner ein paar Tage pro Woche. So können Jugendliche einen Beruf erlernen. Eine Schwester, unterstützt von einer anderen Lehrerin, unterrichtet junge Mädchen im Nähen. Die Schüler wechseln zwischen Werkstatt und Schule.

1905 übernimmt der Kanton Wallis den grössten Teil der Unterhaltskosten. Das Institut zählt fünfzig Kinder beider Geschlechter, im Alter zwischen 8 und 16 Jahren. Für die jährlich stattfindende Prüfung werden die Eltern und einige Vertreter von Behörden, darunter der Regierungsstatthalter des Bezirks, zu einem Besuch eingeladen. Die Lehrmethode der damaligen Zeit konzentriert sich vor allem auf die Bewegungen der Lippen und der Zunge. Nach der Prüfung werden denjenigen Preise verliehen, die am deutlichsten aussprechen können.

 1908 ergibt eine Untersuchung, dass es im Wallis 200 «anormale» Kinder gibt, die mehr oder weniger sich selber überlassen sind. Die Chefs des Departements des Innern und des Departements für Volksschulbildung beschliessen daraufhin, das Institut von Géronde für die «Anormalen oder Geistesschwachen» zu erweitern.

Am 25. Januar wird ein Hilfswerk zu Gunsten des Instituts gegründet: «Le sou de Géronde» (der Rappen von Géronde). Dank dem, bei dieser Aktion gesammelten Geld, können fünfzehn neue Schüler am Schuljahresanfang 1908 aufgenommen werden.

 

Gebrauchte Briefmarken sind im Institut ebenfalls gefragt, um einen kleinen Gewinn zu erzielen. Die damaligen Zeitschriften schreiben, dass «die kleinen Walliser Chinesen» sich damit befassen.

 

1910, 1911 und 1912 wird Werbung für Bienenstöcke gemacht, die von den kleinen Pensionären auf Mass angefertigt werden. «Gutes Material, sorgfältige Verarbeitung», kann man in den Zeitungen lesen.

 

Im November 1911 stirbt Schwester Bernalde im Alter von 49 Jahren. Sie wird in Géronde begraben.

Ab 1913 verpestet die nahe gelegene Fabrik von Chippis den Hügel von Géronde, die Weinberge, die Landschaft, die Bäume und die Kinder werden sogar krank.

 

1915 besuchen sechzig Kinder das Institut; die Zahl ist stetig steigend. Am 17. Juli 1919, feiert das Institut sein 25-jähriges Jubiläum. Dank ihm haben mehr als tausend Kinder von einer Schulbildung profitiert. Von zivilen Behörden und religiösen Autoritäten wird eine Würdigung überreicht.

 

Bald danach werden Renovierungsarbeiten nötig. Der Staatsrat stimmt 1922 dafür und investiert 40 bis 50 Tausend Franken. Der Innenraum des Gebäudes (frühere romanische Kirche im XI. Jarh.), wird zu zwei Etagen ausgebaut, um Platz zu gewinnen.

 

 

Am 1. Oktober 1924 beginnen siebzig Schüler das neue Schuljahr; alle Plätze sind belegt. Es gibt fünf Klassen mit Taubstummen, drei französische und zwei deutsche Klassen.

1927 sind es neunzig Pensionäre und 1928 müssen fünfzig zurückgewiesen werden. Ein Experte rät, das Gebäude zu wechseln, wegen der in der Nachbarschaft liegenden, gefährlichen Fabrik von Chippis. Zur gleichen Zeit werden geheime Verhandlungen zwischen dem Kanton Wallis und dem Hotel de l’Aiglon, das sich in Le Bouveret befindet, geführt. Die Angelegenheit ist finanziell von grossem Vorteil. Der Staatsrat lässt eine Umbaustudie anfertigen, um 300 Kinder unterbringen zu können. Einige sind dagegen, weil sich das Hotel in einer abgelegenen Gegend befindet und das Klima feucht und neblig ist, aber es wäre viel teurer, ein neues Institut ab nihilo zu bauen. So wird am 25. August 1928 der Kanton zum Besitzer des Hôtel de l’Aiglon in Le Bouveret, dem zukünftigen Institut für Taubstumme. Das Wohnzimmer wird zur Kapelle umgebaut und die Bäder zu Wohnungen für die Schwestern. Noch vor der offiziellen Eröffnung sind fast 150 Kinder angemeldet…